pulp.noir iscapes
Videoclips [aus live improvisierten Sounds, Words und Visuals]


Die Performer improvisieren entlang eines Drehbuchs und stellen tripartige Videoclips her. Es sind quasi Aufnahmen digitaler Welten (aus Geräusch und Musik, Sprache und Gesang, Schrift und Bild), die wie beim Surfen im Internet mit einem einfachen Schlüsselbegriff beginnen und durch Verlinkung verwandter Inhalte zu einem weiten Assoziationsraum anwachsen.


Videoclips [aus live improvisierten Sounds, Words und Visuals]
In einer audiovisuellen Performance, bei der die verwendeten Medien gleichberechtigt miteinander verknüpft werden, kreieren fünf Musiker, Texter und Videobildner tripartige Videoclips. Es handelt sich dabei gleichzeitig um ein Konzert und eine Aufnahme-Session, und die Clips sind das resultierende Produkt, das in Echtzeit auf der Leinwand zu sehen und über die Lautsprecher zu hören ist. Gespielt wird also sowohl auf das Publikum als auch auf die Aufnahme hin, doch könnte man sagen, dass immer ein Medium zwischen den Performern und dem Publikum steht. Auch wird der Eindruck, dass hier eher etwas hergestellt als aufgeführt wird, noch verstärkt, indem die fünf Solisten dem Prinzip nobody solos, everybody solos folgen und gleichzeitig an einem gemeinsamen Audio/Video-Teppich knüpfen. Die Rede ist somit von einer Kollektivimprovisation (falls man darunter stilistisch nicht ausschliesslich New Orleans Jazz oder Free Jazz versteht), und es entspricht sicher dem Begriff der Improvisation, dass kein abgeschlossenes Produkt das Ziel ist, sondern ein Work-in-progress, dessen Zwischenresultate immer nur solange aktuell sind, bis eine weitere Performance gespielt wird. Die Aufnahmen werden aber alle archiviert und können einzeln auf der Website www.iscapes.ch abgerufen werden.


Digitale Realität und Surrealität

iscapes sind quasi Aufnahmen digitaler Welten aus live improvisierten Sounds, Words und Visuals. Somit handelt es sich zwar nicht um reale virtuelle Welten, doch widerspiegelt sich die digitale Realität deutlich in der formalen Komposition, die ähnlich abläuft, wie man es vom Surfen im Internet kennt. Ausgehend von einem Schlüsselbegriff – dem Thema der jeweiligen Aufnahme – entsteht durch Verlinkung verwandter Inhalte ein weiter Assoziationsraum bzw. ein thematisch eng verwobenes Netz. Mühelos werden darin Raum und Zeit überbrückt, und in oft absurden Kombinationen und Metamorphosen verbinden sich Ernstes und Unterhaltendes, Wissenschaftliches und Fiktives, wobei die Links selten kausal oder logisch sind und einen in Gefilde abdriften lassen, die aufzusuchen nie die Absicht war. Die vielen Sprünge, ständigen Wechsel und Widersprüche, einst eher Merkmale des Traums, sind Alltag geworden und erinnern einen beinahe an die traumhaft-unwirklichen Welten, wie sie in vielen surrealistischen Gemälden (zum Beispiel von René Magritte oder Salvador Dalí) dargestellt sind. Logik und Begrenzungen sind hier aufgehoben zugunsten eines schwebenden Zustandes, der sich in konstanter Überblendung befindet: fremdartig, verwirrend, rätselhaft, bizarr.


Electronica, Spoken Voice und Videocollagen

Während das Internet in seinen Anfangszeiten vor allem auf Text basierte, sind mittlerweile auch Ton und Bild bestens integriert. Die iscapes folgen der Entwicklung und verbinden die verschiedenen Medien zu einem vielschichtigen audiovisuellen Gedankenstrom. Auf akustischer Ebene zerfliessen Geräusche, Klänge und Beats zu schnell vorbeiziehenden elektronischen Soundscapes. Mögliche Spielarten, die kurz auftauchen und sich wieder verflüchtigen, sind zum Beispiel Ambient, Noise, Minimal, Dub, Trip Hop oder Drum ’n’ Bass. Dazu mischt sich gesprochene Sprache, die – passend zu einer konkreten Situation, die gerade auf dem Videoscreen zu sehen ist – vom Stimmperformer live synchronisiert wird. Vielleicht läuft zum Beispiel gerade die Millionenshow, und die harmlosen Quizfragen verwandeln sich übergangslos in eine polizeiliche Befragung (weil man sich bereits wieder weitergeklickt hat in eine Krimiserie...). Die Visuals schliesslich haben – wie früher im Stummfilm – keinen eigenen Ton und basieren auf einzelnen Videoloops, die aus unterschiedlichsten Quellen im Internet stammen (und erst während der Performance live zu Collagen gemischt werden). Es laufen also keine fertigen Filmsequenzen ab, und man darf sich auch keinen Filmrealismus vorstellen. Durch das Collageprinzip, die Verwendung von Schrift sowie den Einsatz von Effekten zur Stilisierung und Karikierung lehnt sich die Arbeit stilistisch eher an Comics.


Chaos, Fake ... und andere gängige Begriffe

Die einzelnen ca. 10-minütigen Videoclips haben je einen Begriff zum Thema, der sich als roter Faden durch kurze, aber zahlreiche Episoden zieht. Wie beim Googeln hat der „User“ zu Beginn diesen Begriff vor Augen und folgt dann den verschiedenen, teils sehr widersprüchlichen Suchergebnissen. Indem sich die iscapes um alltägliche Begriffe drehen (wie zum Beispiel Chaos, Fake oder Geschwindigkeit), sind die einzelnen Teile des Puzzles meistens recht vertraut und nachvollziehbar, und die Aufmerksamkeit richtet sich weniger auf sie als auf ihre Verknüpfung. Überraschende und irritierende Motivkombinationen, die für schwarzen Humor und skurrile Stimmungen sorgen, sind denn auch der eigentliche Punkt und werden auf zwei verschiedene Arten inszeniert: Bei der ersten Art treffen im Stereopanorama zwei kontrastierende Motive aufeinander. Zum Beispiel führt auf der linken Seite ein Schachspieler einen Schachzug aus, und auf der rechten Seite fällt statt der Spielfigur ein Soldat in der Schlacht. Die beiden Elemente stehen hier räumlich nebeneinander, während sie bei der zweiten Art dann zeitlich nacheinander ablaufen. Mono sozusagen verwandelt sich ein einzelnes Motiv in ein anderes, und eine qualmende Zigarette wird zum Beispiel zu einem rauchenden Colt.


Drehbuch und Improvisation

Das übergeordnete Spielprinzip ist die Improvisation: Zwar bewegen sich die Spieler entlang einer komponierten Struktur, doch schöpfen sie frei aus einem Pool von Ton-, Wort- und Bildmaterial (das sie im Probenprozess verinnerlicht haben, um es während der Performance abzurufen und improvisierend weiterzuspinnen). Für einen abwechslungsreichen Spannungsbogen sorgt die kompositorische Planung, und die improvisatorische Ausführung begünstigt anarchische Impulse und den freien Fluss. So folgen die Spieler keiner fertigen Partitur sondern einem Drehbuch, das die darzustellenden Szenen nur beschreibt, aber nicht ausformuliert. Und weil oft mehrere Szenen gleichzeitig ablaufen – die Leinwand wird dann in Splitscreens unterteilt, wie wenn mehrere Fenster im Webbrowser geöffnet sind – erinnert die Spielvorlage entfernt sogar an ein verschachteltes Flussdiagramm. Vorbestimmt sind der Ablauf und der Inhalt der Szenen, nicht festgelegt ist hingegen, wie und von welchem Spieler sie umgesetzt werden sollen. Indem die Improvisierenden immer selber entscheiden müssen, wann, wo und wie sie sich gerade ins gemeinsame Netz einloggen, entwickelt sich ein konzentriertes Interplay, bei dem ein Ereignis dem andern als Sprungbrett dient, und wo spontane Aktionen zu unerwarteten Reaktionen führen.



visuals, effects ............................... Julia Maria Morf
synths, keys ................................... Christian Rösli
beats, loops ................................... Marius Peyer
voices, vocals ................................. James Bailey
electronics, mix ............................... Thomas Winkler
noises, samples ................................ Fabian Gutscher
screenplays .................................... Thomas Fischer